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Autismus: Die Ungewissheit in mir

Autismus: Die Ungewissheit in mir

Dass autistische Kinder und Erwachsene in unserer Welt gut zurecht kommen, ist alles andere als selbstverständlich und eine RIESENGROSSE Leistung. Eine Leistung, die jedoch oft viel zu wenig gewürdigt wird.
Autismus-Expertin Ines gibt uns wertvolle und einfühlsame Einblicke in die Welt von Menschen mit Autismus:


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Birgit und Christine von Muttis Nähkästchen

Für alle, die uns noch nicht kennen: Hier plaudern Birgit und Christine aus dem Nähkästchen und schreiben über das (Über-)Leben mit Kindern.

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Kennt ihr das?

Das nervöse Gefühl, wenn wir im Urlaub am Morgen zum Pool gehen und nicht wissen, ob auch die Liegen, die wir wollen, frei sind? Oder auch das ungute Gefühl, wenn wir wohin fahren müssen, wo wir uns gar nicht aus kennen und an einem bestimmten Ort pünktlich erscheinen müssen?

Es ist ein unangenehmes Gefühl der Ungewissheit. Komisch irgendwie. Es lässt einem sich nicht gut fühlen, macht einen nervös und irgendwie angespannt. Kein so schönes Gefühl, wenn du nicht weißt was genau auf dich zukommt, oder?

Und es gibt eine Vielzahl von Menschen, denen es täglich so geht.
Ich glaube, fast alle von uns kennen diese Situation. Aber einige kennen dieses Gefühl leider besser als andere. Menschen mit Autismus-Spektrumsstörung (ASS). Sie sind diesem Gefühl beinahe den ganzen Schul- oder Arbeitstag ausgesetzt.

Menschen mit einer Erkrankung aus dem Autismus-Spektumsbereich haben Schwierigkeiten mit Neuem. Sie brauchen oftmals länger, um sich an Neues zu gewöhnen. Und es fällt ihnen schwerer, sich auf neue Situationen einzustellen. Nicht weil sie es nicht wollen oder gar schlecht erzogen sind, wie man aus unwissenden Mündern immer wieder mal hört. Nein. Weil sie eine besondere Art der Wahrnehmung haben die es ihnen ungemein erschwert.

Chaos

Ein Tag in Leben eines Autisten ist voll von diesen ungewissen Situationen und neuen Herausforderungen. Wir alle sind Gewohnheitstiere und mögen Vertrautes. Darauf bauen die meisten Menschen mit Autismus ihren Tag auf. Ein fixer Plan und schrittweises Vorgehen – ein Traum für fast jeden Autisten. Fixe, gewohnte Abläufe sind oft ihre Inseln der Erholung im stressigen Alltag. Ja, da mögen wir alle uns auch wieder erkennen. Abwechslung ist nicht schlecht, aber wir alle haben und mögen doch auch unsere Routinen, oder? Abläufe, auf die wir uns verlassen können und die uns den Tag oft ungemein erleichtern.

Für Menschen mit autistischer Wahrnehmung ist das prinzipiell auch so. Nur denkt doch mal an einen gewöhnlich Tag – wie oft läuft wirklich alles nach Plan? Wie häufig passiert doch etwas Unvorhergesehenes. Die Kollegin platzt unerwartet ins Büro herein und will jemand Neuen vorstellen. Am Weg in die Arbeit wird man vom Fremden in der Straßenbahn angequatscht oder ein Freund ruft an uns sagt das wöchentliche Treffen ab. Überraschend für fast alle von uns, aber oft eine riesige Herausforderung für Menschen mit einer autistischen Wahrnehmung.

Plötzlich bricht das Vertraute und Gewohnte weg und es werden Handlungen und Dinge von einem gefordert, die man nicht kennt und die einem neu sind. Das ist für viele Autisten eine wirklich schwere Situation. Gerade Kinder und Jugendliche mit autistischer Wahrnehmung haben es in Schulen oder auch Lehrstellen nicht gerade leicht. Ganzen Tag auf engsten Raum mit anderen Leuten. Das alleine ist eine große Herausforderung. Dann noch Unterricht mit neuen Herausforderungen, Lehrer, Mitschüler und andere Personen mit unterschiedlichsten Launen.

Unvorhergesehener Lehrerwechsel, Besuch oder Stundenplanänderungen. Aber auch die Pausen sind nicht immer erholsam. Lautes Geschrei, wirres Durcheinander und unbekannte Schüler aus anderen Klassen machen die zur Erholung gedachte Zeit eher zu einem Spießrutenlauf. Die Handlungen anderer sind nicht planbar und besonders für autistische Personen auch oft nicht vorhersehbar. Durch ihre spezielle Wahrnehmung tun sich Menschen aus den autistischen Formenkreis besonders schwer mit der Erkennung von Gesichtsausdrücken und damit auch mit dem Erkennen von Stimmungen und Absichten anderer. Wie mir mal ein Asperger-Autist berichtete, erkennt er mich nicht an meinem gesamten Erscheinungsbild oder Gesicht, sondern an meinen Haaren und der Halskette. Recht variable Merkmale also.

Aber wie ist das?
Können Autisten das nicht einfach lernen?

In meiner langjährigen Berufserfahrung bin ich zum Schluss gekommen: Solange es keine kognitiven Beeinträchtigungen gibt, können Menschen mit autistischer Wahrnehmung alles lernen. Nicht einfach so, aber mit viel Ausdauer und Mühe. Durch die besondere Wahrnehmung braucht es einfach mehr Wiederholungen bis das Gelernte wirklich sitzt. Und da rede ich nicht von zehnmal mehr, sondern oft 200-300 erfolgreiche Wiederholungen. Es erfordert also unglaublich viel Arbeit, Konsequenz und Ausdauer von Menschen mit Autismus und natürlich auch deren Unterstützern sich Neues anzueignen.

Also, zu Frage vorhin. Natürlich können auch Gesichtsausdrücke und Gefühlseinschätzungen gelernt werden. Klar, genau genommen müssen wir das alle lernen. Für Menschen mit autistischer Wahrnehmung ist es nur ungleich mehr Aufwand und dauert dadurch länger. Meist sogar bis ins Erwachsenenalter. Darum müssen sich, wie oben erwähnt, vor allem Kinder und Jugendliche speziellen Herausforderungen im Alltag Schule und Beruf stellen.
(Siehe dazu auch: Asperger-Kinder in der Regelschule)

Ständige Ungewissheit, ständig Neues. Ja, das ist leider so. Natürlich lässt sich der Tagesablauf und -verlauf durch diverse Maßnahmen und Schulungen der Lehrer, Mitschüler und Mitarbeiter günstig gestalten. Dennoch ist es für betroffene Kindern und Jugendliche eine enorme Leistung, die nie unterschätzt und immer gewürdigt werden sollte. Zu oft geht die Anerkennung für diese ”extra” Leistung unter, wird als normale Belastung abgetan oder gar ins Lächerliche gezogen. Schließlich haben wir alle Belastungen. Stimmt natürlich. Aber auch Menschen mit autistischer Wahrnehmung haben diese zusätzlichen Belastungen, nur eben ihre spezielle Wahrnehmung noch zusätzlich.

Wir alle verlangen auch von diesen Kindern in unsere Welt und Gesellschaft zu passen. Oft genug sind aber umgekehrt Menschen leider nicht dazu bereit, ihre Welt so anzupassen, dass jeder rein passt. Obwohl es oft einfache, sogar kostengünstige Anpassungen wären, die sonst niemand stören, Autisten jedoch eine große Hilfe im Chaos Alltag sein können.

Viele von uns schaffen sich kleine Erholungen, Pausen, Auszeiten vom stressigen Alltag. Kinder spielen Fußball in der Pause, wir gehen auf einen Kaffee oder bleiben einfach mal mit einer Zeitung länger auf der Toilette. Das sind verbreitete und akzeptierte Auszeiten. Fahrpläne lesen, bestimmte Sätze gebetsartig aufsagen oder auf ein bestimmtes Muster starren sind da wesentlich seltener und dadurch für viele ungewohnt, dennoch nicht falsch. Aber der Mensch tendiert dazu Ungewohntes abzulehnen. Und so kommt es durchaus vor, dass versucht wird, Menschen mit Autismus andere, akzeptiertere Pausenbeschäftigungen einzulernen. Bestimmt mit guter Absicht. Leider ist jedoch gerade dieses ”in die Schublade stecken” kontraproduktiv. Warum nicht jeden selbst wählen lassen?

Gerade Kindern haben es schwer ihren ”Willen” durchzusetzen. Und nein, ich rede nicht davon, Kindern alles durchgehen zu lassen. Aber wenigsten die Pausen sollten sie nach ihren Geschmack gestalten können, egal welches Kind. Solange sie sich selbst oder anderen nicht schaden.

Fazit

Ich kann nur sagen, wer sich die Zeit nimmt, einen Menschen mit autistischer Wahrnehmung besser kennen zu lernen, kann genauso viel aus dieser Interaktion mitnehmen als sein Gegenüber. Es sollte nicht als Wohltat oder Nächstenliebe geschehen. Sondern als ein Gewinn für beide Parteien angesehen werden. Ausdauer und Bemühungen um eine Freundschaft werden sich lohnen.
Versucht es!

Über die Autorin:

IInes Shrimpskramsnes ist Psychologin. Sie ist 35 Jahre und lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich. Seit 2009 arbeitet sie in Wien und Niederösterreich für die Österreichische Austistenhilfe und seit 2012 auch in freier Praxis. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrumsstörung, aber auch Erwachsene und Verhaltensauffälligkeiten sind ein großer Bestandteil.
Im Moment befindet sie sich noch in Babypause, aber damit sie nicht aus der Übung kommt, schreibt sie, gemeinsam mit ihren Mann, auf ihren Blog www.shrimpskrams.at über ihren Familienalltag. Natürlich gibt es dort auch ab und an psychologische Fachbeiträge zu lesen.

Eine Autismus-Expertin gibt einfühlsame Einblicke in die Welt von Menschen mit Autismus


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Hier plaudert Birgit, alias Mutti, 40+, seit 2009 aus dem Nähkästchen: Authentizitäts-Freak, selbstbewusst grauhaarig, kreativ angehaucht, völlig unperfekte Mutter. Familienblog aus dem Leben mit zwei Jungs - Mutter allein unter Männern. Mehr über Muttis Nähkästchen: About. Nix verpassen? Folgt mir via Social Media oder Newsletter.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Es ist gut erklärt vielleicht verstehen so neurotypische Menschen wie es ist autist zu sein und welche Probleme und herrausforderungen man gegenüber steht.
    Ich bin selbst autistin und stimme in 90% den Aussagen zu nur in einem Punkt bin ich anderer meinung.
    Wir können viel lernen das dauert auch lange ja, aber es wird sachen Genen die wir nicht lernen können wie ein „normaler “ mensch da bringt alles üben trainieren und dresieren nichts es wird sachen geben die wird nicht so können!!!!!!! Und das kann niemand ändern!!!!
    Und das schlimmste ist wenn man von anderen darauf dressier wird mit einem trainiert wird wie mit einem Affen.
    Es ist natürlich bei jedem unterschiedlich was er lernen kann und was nicht, den. Ejder ist unterschiedlich!
    Das sollte jeder bedenken.
    Ansonsten danke für den Artikel.

    1. Liebe Louise, vielen lieben Dank für dein Feedback!
      lg Birgit

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