Erziehung und Elternhaus bestimmen wesentlich, wie oft Kinder lügen. Mit einfachen Maßnahmen lässt sich dieses Verhalten positiv beeinflussen. Das zeigt eine neue Studie der Universitäten Würzburg, Bonn und Oxford.
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Voraussichtliche Lesedauer: 11 Minuten
Table of contents
Alle Menschen lügen …
Alle Menschen lügen – die einen mehr, die anderen weniger. Das ist bei Kindern nicht anders. Welchen Einfluss das Elternhaus und die Erziehung dabei ausüben, hat ein internationales Team von Wirtschaftswissenschaftler:innen jetzt untersucht.
Ein Würfelexperiment bringt die Wahrheit ans Licht
„Wir sind der Frage nachgegangen, welche Faktoren bei Jugendlichen Präferenzen für Ehrlichkeit bestimmen und inwieweit diese Präferenzen veränderbar sind.“
Fabian Kosse, Universität Würzburg
Die Ehrlichkeit überprüft haben die Forscher mit einem denkbar einfachen Experiment: Dabei sollten die Kinder würfeln und vor ihrem Wurf die Zahl vorhersagen, die der Würfel anzeigen wird. Stimmten Vorhersage und Ergebnis überein, erhielten sie einen kleinen Geldbetrag.
Der Clou daran: Die Kinder waren beim Würfeln unbeobachtet und niemand konnte überprüfen, ob ihre Vorhersage stimmte oder nicht. Sie konnten also sicher sein, dass eine Lüge nicht aufgedeckt werden würde.
Der Rest ist Statistik:
„Wenn alle die Wahrheit sagen, müssten der Wahrscheinlichkeit nach ein Sechstel der Teilnehmenden, also etwa 16,7 Prozent, eine zutreffende Vorhersage angeben.“
Johannes Abeler, University of Oxford
Tatsächlich behaupteten aber insgesamt mehr als 60 Prozent, dass Vorhersage und Würfelergebnis übereinstimmen würden. Das wiederum bedeutet, dass ein großer Teil der Kinder gelogen haben muss.
Unterschiede im Ausmaß der „Lügenbereitschaft“ wurden sichtbar, als die Wissenschaftler einen Blick auf den sozialen Hintergrund der Kinder warfen.
„Unsere Auswertungen zeigen deutlich, dass Kinder aus reicheren Haushalten ehrlicher sind. Darüber hinaus finden wir ein höheres Maß an Ehrlichkeit bei Kindern, die einen wärmeren Erziehungsstil und ein höheres Maß an Vertrauen in ihrem familiären Umfeld erfahren.“
Johannes Abeler, University of Oxford
Daten von mehr als 700 Familien
Für ihre Untersuchung konnten die Wissenschaftler auf die Daten von Haushalten aus Köln und Bonn zurückgreifen. 2011 hatten sie Familien mit Kindern, die zwischen September 2002 und August 2004 geboren worden waren, zur Teilnahme an einer Studie eingeladen. Mehr als 700 Familien hatten, daraufhin Ende 2011 an einer ersten Befragungswelle teilgenommen und Auskunft gegeben über ihr Einkommen, ihren Bildungsstand und zu der Frage, ob beide Elternteile im selben Haushalt lebten. Begleitend dazu wurde der Erziehungsstil und das Verhalten von Kindern und Eltern erfasst.
Mentoring-Programm „Balu und Du“
Zu dem Mentoring-Programm eingeladen wurden anschließend nach dem Zufallsprinzip 212 Kinder aus sozial schwachen oder bildungsfernen Familien – also Haushalten mit einem geringen Einkommen, in denen kein Elternteil über einen Schulabschluss verfügte, der zum Hochschulstudium berechtigt, oder in denen ein Elternteil alleinerziehend war.
378 Kinder, die unter vergleichbaren Bedingungen aufwuchsen, nahmen nicht an dem Programm teil und bildeten damit die Kontrollgruppe.
„Im Rahmen des Mentoring-Programms „Balu und Du“ verbringen ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren über den Zeitraum von etwa einem Jahr hinweg einen Nachmittag pro Woche mit den Kindern. Sie unternehmen gemeinsam soziale Aktivitäten wie Kochen, Fußballspielen oder Basteln.“
Armin Falk, Universität Bonn
Das Programm zielt darauf ab, den Horizont eines Kindes durch soziale Interaktionen mit einer neuen Bezugsperson zu erweitern und ihm ein warmes und vertrauensvolles Umfeld zu bieten – ein wichtiger Faktor für die Entwicklung von Ehrlichkeit, da Kinder auf diesem Weg die Erfahrung machen können, dass es langfristig von Vorteil ist, die Wahrheit zu sagen.
Zentrale Ergebnisse: Diese Kinder sind ehrlicher
Die zentralen Ergebnisse:
- Kinder aus Haushalten mit hohem sozioökonomischem Status sind ehrlicher, verglichen mit Kindern, die unter eher prekären Bedingungen aufwachsen.
- Auch ein verständnisvoller Erziehungsstil und ein hohes Maß an Vertrauen stehen in Verbindung mit Ehrlichkeit.
- Die Teilnahme an einem speziellen Mentoring-Programm zieht ein höheres Maß an Ehrlichkeit nach sich – und das auch noch viele Jahre nach Ende des Programms.
In Stein gemeißelt ist die Lust zum Lügen jedoch nicht.
Ein Unterschied wie zwischen Mädchen und Jungen
Ihre Vermutung fanden die Wissenschaftler in den Ergebnissen ihrer Studie bestätigt:
„Kinder, die am Mentorenprogramm teilgenommen hatten, waren im Gesamtergebnis ehrlicher. Während in der Kontrollgruppe 58 Prozent schummelten, waren es in der Behandlungsgruppe nur 44 Prozent. Dies ist ein großer Effekt. Er ist ähnlich groß wie der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen.“
Fabian Kosse, Universität Würzburg
Dieser Effekt spricht nach Ansicht der Forscher für den Erfolg des Mentoring-Programms. Da die Studie gut vier Jahre, nachdem die Kinder an dem Programm teilgenommen hatten, durchgeführt wurde, sei dies auch ein Beleg für eine langfristige und anhaltende Verhaltensänderung.
Fazit: Ehrlichkeit ist erlernbar
Insgesamt zeige die Studie, dass Präferenzen für Ehrlichkeit tatsächlich veränderbar sind und dass sie durch geeignete Maßnahmen verändert werden können.
Frühkindliche Interventionen können also nicht nur die Leistungen eines Kindes verbessern, sondern auch deren soziales und moralisches Verhalten beeinflussen.
Quelle: Malleability of preferences for honesty. Johannes Abeler, Armin Falk, and Fabian Kosse. The Economic Journal, https://doi.org/10.1093/ej/ueae044
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