Jahrelang wurde lautstark gefordert: Die Schulen müssen digitaler werden! Sonst verpassen die Schülerinnen und Schüler den Anschluss. Lange ist nicht wirklich viel passiert. Und dann zwang die Corona-Pandemie zum Handeln. Nun kehren die Schulen nach Monaten im Homeschooling wieder vermehrt zum normalen Präsenzunterricht zurück. Die Frage, die jetzt unter den Nägeln brennt: Was bleibt von diesem Technologieschub? Haben wir etwas daraus gelernt? Werden die positiven Aspekte aus dieser Erfahrung weiterhin genutzt?
Zwischenruf in eigener Sache:
Liebe Leute!
Willkommen am Familienblog "Muttis Nähkästchen"
Für alle, die uns noch nicht kennen: Hier plaudern Birgit und Christine aus dem Nähkästchen und schreiben über das (Über-)Leben mit Kindern.
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Inhalt
Generische Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Ich kann hier nur aufgrund meiner sehr persönlichen Einschätzung und Erfahrungen aus dem Nähkästchen plaudern. Denn meine Kinder sind seit Anfang Mai 2021 in zwei verschiedenen Schulen wieder im 100%-igen Präsenzunterricht vor Ort.
Ich wäre jedenfalls an allen Inputs von euch interessiert! Was ist eure Sicht? Hat jemand von euch ähnliche oder auch ganz abweichende Erfahrungen gemacht? Lasst es uns wissen! Bitte um eure Kommentare dazu!
Die digitale Revolution
Die Digitalisierung ist das Zauberwort schlechthin! Die digitale Revolution wird auch als dritte Revolution der Menschheitsgeschichte bezeichnet: In der ersten, neolithischen Revolution wurden wir Menschen sesshaft – Ackerbau und Viehzucht waren die Folge. Im zweiten massiven Umbruch, der industriellen Revolution, entstand die moderne Massengesellschaft. Und nun eben die digitale Revolution – die Auswirkungen dieses dritten Umbruchs sind aus heutiger Sicht noch gar nicht absehbar. Denn die IT durchdringt immer mehr Lebensbereiche. Und produziert natürlich auch ganz neue Probleme (z.B.: Ist mein Kind spielsüchtig? Tipps für Eltern).
Jedenfalls scheint digitale Bildung das Gebot der Stunde. Aber ist die Lösung für jede Misere?
Schöne neue Digital-Lernwelt?
Schafft eine Videokonferenz – mal jede mangelnde technische Ausstattung aufseiten der Schule und/oder der Schüler*innen außer Acht gelassen – ein ähnlich gutes Lernumfeld wie der Präsenzunterricht im Klassenraum? Oder ist sie vielleicht sogar viel besser?
Denn gerade zu Beginn des Distance Learnings gab es allerseits Jubelrufe der Microsofts & Googles dieser Welt. Der Tenor war: Digitales Lernen ist gekommen, um zu bleiben! Dem digitalen Lernen gehört die Zukunft!
Jedoch kristallisierten sich mit zunehmender Dauer des Fernunterrichts immer mehr die Vor- und Nachteile dieser Lernform heraus:
Vor- und Nachteile des digitalen Lernens
Mein persönliches Fazit nach mehr als einem Jahr des digitalen Lernens mit zwei Kindern im Gymnasium – jede Schule durchaus digital-affin bzw. sehr mutig und bestrebt, das Beste aus der gegebenen Situation zu machen:
Vorteile des digitalen Lernens
Lernen konnte weitergeführt werden
Der allergrößte Vorteil war selbstverständlich: Lernen konnte auch trotz Pandemie weitergeführt werden.
Klarheit der Aufgaben
Die Aufgaben wurden mit Deadline versehen ins digitale Lernsystem eingestellt (bei uns in beiden Schulen in MS Teams). Das war sehr übersichtlich und klar, Schüler*innen und Eltern bekamen rasch einen Überblick über die anstehenden Tasks.
Der Elternsprechtag war noch nie so entspannt!
Man vergeudete nicht ganze Nachmittage und saß nicht ellenlang wartend vor der nächsten Lehrer*innen-Tür. Ein leidgeprüfter Bericht: Elternsprechtag: Demotivation par excellence. Klar, es gehen auch die Ganggespräche mit den anderen Eltern verloren. Aber irgendeinen Tod muss man sterben …
Nachteile des digitalen Lernens
Die Schule als wichtiger Lernort fehlte
Es macht einen Unterschied, ob ich mir morgens die Schuhe binde, das Haus verlasse und mich auf den Weg mache, um den Lernort Schule zu betreten. Oder ob ich mich mit halboffenen Augen quasi direkt aus der letzten REM-Phase noch liegend in die erste Unterrichtseinheit klicke.
Nonverbales und zwischenmenschliches blieb auf der Strecke
Es mag Ausnahmen geben, aber für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ersetzt eine Videokonferenz den Face-to-Face-Unterricht nicht wirklich ideal. Es blieb so viel Zwischenmenschliches und Nonverbales auf der Strecke. Im Klassenraum reicht oft ein Blick des/der Lehrer*in auf die versammelte Schüler*innen-Schar. Und schon wird aus den Gesichtern der Schüler*innen sehr deutlich, wie gut der vermittelte Lerninhalt verstanden wurde. In der Videokonferenz saßen die Lehrer*innen oftmals vor schwarzen Bildschirmen und wussten nicht, was und ob alles verstanden wurde.
In einer der Schulen meiner Söhne wurde zwischenzeitlich eine „Kamera-an-Pflicht“ eingeführt, damit genau das eben nicht passiert. Das musste aber bald als gescheitert betrachtet werden, weil durch die eingeschalteten Kameras die Bandbreite bei vielen Beteiligten nicht mehr ausreichte und das Internet in die Knie ging …
Die Konzentration war schwer aufrechtzuerhalten
Wir kennen das aus unseren eigenen Videokonferenzen: Die Konzentration lässt schon nach wenigen Stunden nach. Weil es einfach viel, viel anstrengender ist, digital bei der Sache zu bleiben. Irgendwann fühlt man sich müde und leer und schweift ab.
Die Ablenkungen waren omnipräsent
Doch noch schnell am Handy die aktuellen Messages checken, mal eben kurz durch Instagram scrollen oder gar am Second Screen parallel ein YouTube-Video glotzen, während sich die Mathe-Lehrerin alle Mühe in der Online-Stunde gab. Ich hab meine Kids nicht nur einmal dabei erwischt …
Motivation im Keller
Je länger der Fernunterricht dauerte, desto geringer wurde die Lernmotivation.
Wie es auch schon der Religionsphilosoph Martin Buber ausdrückte:
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.“
Martin Buber
Diese Liste hat selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Habt ihr noch weitere Vor- und Nachteile zu berichten? Unbedingt her damit! Ich freue mich auf eure Kommentare!
Retour zum Präsenzunterricht – und alles gut?
Generell wird dieser Automatismus erwartet: Die Schule öffnen wieder und damit sind mit einem „Tusch“ alle Probleme gelöst. Aber das ist leider Fehlanzeige!
Denn meines Erachtens brauchen die Kinder und Jugendlichen eine Art „Reintegration“. Nach monatelangem Distanzlernen bzw. Lernen im Wechselunterricht/Schichtbetrieb brauchen sie Zeit, um wieder zurück in die Klasse zu finden. Meinem Sohn fiel es zum Beispiel schwer, sich wieder an den Lärmpegel in einer voll besetzten Klasse zu gewöhnen.
Meines Erachtens sollten vor allem Beziehungsarbeit und Motivation im Mittelpunkt stehen. Was aber stattdessen meist stattfand, war: Druck, Druck, Druck! Jeden Tag ein Test, eine Klausur, eine Prüfung. Versäumtes nachholen, Wissenslücken schließen, Lehrplan erfüllen …
Ernüchterndes Fazit: Was bleibt?
Mein Fazit fällt ernüchternd aus. Kaum saßen wieder alle im Klassenraum, waren alle digitalen Tools und Plattformen weg vom Fenster. Alles wie gehabt. Vom digitalen Lernen und dem Technologie-Schub in den Schulen blieb recht wenig.
Unter’m Strich ist klar: Kinder und Jugendliche brauchen Menschen von Angesicht zu Angesicht. Alles andere sind nur Hilfsmittel. Trotzdem gäbe es einige Details, die beibehalten werden sollten:
Digitale Hilfsmittel für den Unterricht, die bitte bleiben sollten!
Folgende Dinge haben sich in der Zeit bewährt und sollten meines Erachtens unbedingt beibehalten werden:
Digitale Hausübung und Hausaufgaben
Die Hausübungen/Hausaufgaben könnten nicht nur verbal verkündet (und damit beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus …) oder an die Tafel gekritzelt oder im Form von kopierten Zetteln verteilt werden, sondern weiterhin in digitalen Gemeinschaftstools wie z.B. MS Teams eingetragen werden. Gerade für autistische Schüler*innen wäre das eine riesengroße Hilfestellung. Vor allem, wenn die Aufgaben dann auch digital abgegeben werden könnten. Das wäre tatsächlich barrierefrei. Und wie in allen Bereichen der Barrierefreiheit gilt: Eine barrierefrei zugängliche Umgebung ist für zehn Prozent der Bevölkerung unentbehrlich, für 30 bis 40 Prozent hilfreich und für hundert Prozent komfortabel!
Zettelwirtschaft ade!
Generell möchte ich anregen, die „Zettelwirtschaft“ und den Kopierwahn abzuschaffen. So müssen Schüler*innen bei einem Referat ein Handout für die Mitschüler*innen anbieten – auf eigene Kosten für alle kopiert. Alternativ könnte man sie in der Klassengruppe zum jeweiligen Schulfach im Gemeinschaftstool (wie z.B. MS Teams) hochgeladen werden. Das hätte gleich mehrere Vorteile: (1) Die Kopien würden nicht mehr unkontrolliert in der Schultasche rumfliegen. (Ja, viele Schüler*innen sind nicht die ordentlichsten …); (2) Alle Unterlagen zu allen Referaten wären geordnet an einem Platz; (3) Rettet auch Bäume!
Kranke oder separierte Kinder durch Hybridunterricht teilhaben lassen
Beide Schulen meiner Kinder wagten in den Zeiten des Wechselunterrichts mutig den Schritt, tatsächlich nahezu lückenlos einen Hybrid-Unterricht umzusetzen. Heißt: Die Schüler*innen daheim waren beim Unterricht der anderen Hälfte im Klassenraum mit Kamera und Mikrofon mit dabei und konnten sich auch einbringen. Klar, teilweise haperte es etwas beim Ton – aber es ging!
Auf ähnliche Art und Weise könnten Kinder, die gesund genug für eine Teilnahme am Unterricht sind, eine Teilhabe ermöglichen. Aber leider nein – die Schüler*innen mussten sich eigenständig nach dem Stoff erkundigen und eigenständig nacharbeiten.
Digitale Schulbücher
Das gab’s bei uns in Österreich schon vor der Pandemie: Mit nur wenigen Ausnahmen stehen fast alle Schulbücher auch digital auf der Plattform digi4school.at zur Verfügung – unabhängig davon, von welchem Verlag das Buch stammt. Das war und ist sehr hilfreich, wenn das Buch zum Beispiel in der Schule vergessen wurde.
Mehr Dinge …
Auch diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit! Welche digitalen Hilfsmittel sollten unbedingt bleiben? Unbedingt her damit! Ich freue mich auf eure Kommentare! Denn mit den gesammelten Ideen und Erfahrungen können wir eventuell etwas bewegen!
Ironie der Digitalisierung am Rande …
Moderne Schulneubauten werden schon seit Jahren mit sogenannten White-Boards anstatt von Kreide-Tafeln ausgestattet. Die Schule meines Sohnes bestand aber vor wenigen Jahren auch die herkömmliche Tafel. Und nur durch diesen Umstand wurde überhaupt auch in jedem Klassenraum ein Waschbecken projektiert und umgesetzt. Sonst hätten sich die Schüler*innen während der Corona-Pandemie gar nicht die Hände im Klassenraum waschen können! Es wäre zu Massenandrang zum vorgeschriebenen Händewaschen in den Toiletten gekommen …
Appell: Bitte lasst uns die Ferien!
Mein Appell an alle Verantwortlichen: Klar, in diesem Jahr konnte der aktuelle Sollwert beim Leistungsstand möglicherweise nicht erreicht werden. Aber bitte habt Mut zur Lücke! Es ging doch schließlich ALLEN so!
Und bitte kommt mir nicht mit etwaigen Lerncamps oder Sommerschule. Wir brauchen diese freien Tage SO SEHR!!! Und zwar ALLE! Die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer und auch die Eltern! Ferien sind Ferien!
Und ganz ehrlich: Die Pandemie hat mir als Elternteil ganz klar vor Augen geführt, was in diese „pubertären Umbauhirne“ so alles eingepaukt wird. Vieles davon werden sie in ihrem späteren Leben nie wieder brauchen. (Mit einer Ausnahme: Wenn sie ihren eigenen verzweifelten Kindern einmal bei der Bewältigung dieses Lernstoffs helfen müssen … Oder wenn sie dieses Fach dann tatsächlich einmal studieren wollen.)
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