Die Kindheit hat sich verändert. Alles schwärmt von frühkindlicher Bildung: Kinder sollen nicht mehr spielen, sondern LERNEN. Aber ist das nicht eigentlich eine verdrehte Sicht auf die Kindheit? Und unter’m Strich leiden nicht nur die Kinder, sondern auch eine ganze Berufsgruppe: die Pädagog*innen.
Von der Kindergartentante zur Konfliktmanagerin: Eindringliches Interview mit einer Erzieherin:
Zwischenruf in eigener Sache:
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Für alle, die uns noch nicht kennen: Hier plaudern Birgit und Christine aus dem Nähkästchen und schreiben über das (Über-)Leben mit Kindern.
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Ach, Kindergartentante sagt man schon lange nicht mehr! Das ist gut so. Aber gleichzeitig verdeutlicht dieser Begriffswandel auch den enormen Zuwachs an Tasks und Verantwortung.
Kindheit hat sich verändert. Das zeigt auch die Meinung von Marianne (59 Jahre), die seit langer Zeit als Leitung einer Kindertagesstätte arbeitet:
„Die Kinder von heute sind vielfach gestresst und belastet. Das geht von der Trennungs- und Scheidungsproblematik bis hin zur Überforderung schon im Kindergartenalter. Die Kinder von heute werden überfrachtet mit Angeboten. Sei es, dass sie schon früh an Projekten wie Klimarettung oder Vermüllung der Meere beteiligt werden. Sei es, dass sie zu wenig Zeit haben runterzufahren. Zehn Stunden in der KiTa bedeuten zehn Stunden in Kontakt mit vielen anderen Menschen und vor allem mit viel Lärm.“
Marianne (59), Leiterin einer Kindertagesstätte
Die größte Herausforderung für Erzieher*innen ist, neben all dem Papierkram parallel auch noch eine Kindergruppe anzuleiten. Unterstützung seitens des Arbeitgebers ist nicht immer da. Oft werden Kindergarten-Pädagog*innen mit neuen Anforderungen, wie z.B. Inklusion und Integration, Sprachentwicklungsförderung, Qualitätsentwicklung und -management usw., völlig alleine gelassen. Weiterbildungen oder Zusatzqualifikationen müssen vielfach zur Hälfte selbst getragen werden. Oft leidet die Gesundheit und der Arbeitsbedingungen.
Die Überforderung dieser Berufsgruppe geht nicht zuletzt zulasten unserer Kinder! Nun beschäftigt sich ein Buch mit diesem Dilemma: Die Herrschaft der Rotzlöffel: Wie wir die Verhältnisse im Kindergarten wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Ein Interview mit der Erzieherin Lea zeigt die Brisanz (Auszug aus dem Buch mit freundlicher Genehmigung des ecowin-Verlages):
Interview mit Lea (24), Erzieherin
Lea, eine 24 Jahre jungen Erzieherin, die schon während ihrer Abiturzeit Kindersportgruppen bei örtlichen Vereinen leitete und früh wusste, welchen Beruf sie ergreifen wollte. Statt eines Studiums begann sie also mit 18 Jahren mit der Ausbildung zur Erzieherin, die sie nach vier Jahren mit guten Noten abschloss. Sie wurde direkt als Vollzeitkraft in der Einrichtung übernommen, in der sie ihre Abschlussprüfung absolviert hatte. Zwei Jahre ist das nun her, und der Frustfaktor ist hoch:
Lea, Sie arbeiten jetzt seit zwei Jahren als Vollzeitkraft in einem Kindergarten. Wie geht es Ihnen nach dieser Zeit?
Nicht gut! Die Arbeit mit den Kindern macht mir nach wie vor Spaß. Allerdings hatte mich niemand darauf vorbereitet, was noch alles auf mich zukommt.
Was meinen Sie? Sie haben vier Jahre Ausbildung hinter sich. Was fehlt Ihnen in der Rückschau betrachtet?
Ich bin wirklich überrascht, welche Forderungen an uns herangetragen werden. Der Träger bekommt seine Vorgaben und muss diese erfüllen, sonst werden Gelder gekürzt. Und manche Eltern haben so hohe Erwartungen an uns, dass wir diese im Alltag einfach nicht erfüllen können.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Die neuen Qualitätsauflagen zum Beispiel. Ich habe 3,75 Stunden Vorbereitungsdienst, das ist die Zeit für Elterngespräche und Elternabende, auch die Zeit für Dienstbesprechungen und die Arbeit im Gruppenteam, da wir ja die Entwicklung der Kinder dokumentieren müssen. Das ist manches Mal gar nicht so leicht. Von den 25 Kindern in der Gruppe sind sechs sehr auffällig. Und als ob das nicht schwierig genug wäre, sind von den 25 Elternpaaren ebenfalls mindestens sechs hochgradig auffällig.
Was bedeutet das genau?
Ein Elternpaar möchte zum Beispiel jeden Tag einen detaillierten Bericht darüber, was ihr Kind so den ganzen Tag gemacht hat, und zwar am liebsten schriftlich. Das können wir doch gar nicht leisten! Eine andere Mutter bringt ihr dreieinhalbjähriges Kind zu uns und trägt uns mit wichtiger Stimme auf, das Toilettentraining, wie sie es nennt, zu übernehmen. Ihr selbst sei das daheim zu anstrengend und außerdem würde ihr Kind sowieso nicht auf sie hören. Ein weiteres Kind müssen wir ständig im Auge haben, weil es durch sein Verhalten permanent in Gefahr ist, Unfälle zu bauen. Dann sind da zwei Kinder, die ausschließlich an den ErzieherInnen hängen und sich überhaupt nicht alleine beschäftigen können. Eins dieser Kinder ist vier Jahre alt, das andere schon fünfeinhalb, also nicht mehr weit von der Einschulung entfernt. Beide haben daheim den ganzen Tag Programm und sind sofort überfordert, wenn sie mal auf sich alleine gestellt sind.
Die Arbeit mit den Kindern ist aber ja längst nicht alles, oder?
Nein, natürlich nicht. Ich muss mich ständig nebenbei anhand von gefühlt 1000 Fragebögen selbst „evaluieren“, wie es so schön neudeutsch heißt. Das ist ein Höllenaufwand. Wenn meine Kollegin vom ständigen Lärm in der Einrichtung mal wieder fix und fertig ist, fülle ich die Blätter auch schon mal ganz allein aus.
Die Freude, die eigentlich in den Räumen eines Kindergartens zuhause sein sollte, bleibt dabei sicher oft auf der Strecke?
Ja! Es ist so schade, denn wir haben natürlich auch viele nette Eltern. Doch dadurch, dass die auffälligen „Exemplare“ mit ihren Themen und Anliegen fast die ganze Aufmerksamkeit absorbieren, haben wir für die netten kaum Zeit.
Das gleiche gilt für die Kinder. Wenn meine Kollegin beispielsweise wickelt, bin ich 20 Minuten mit den anderen Kindern im Gruppenraum allein. Da passiert es häufig, dass ich mit an einer Stelle um etwas kümmere, während gleichzeitig hinter mir die nächste kleine Katastrophe passiert. Ich merke einfach, dass mir das oft viel zu viel Verantwortung ist. Und dann gibt es noch Gemecker von den üblichen Verdächtigen, wenn ich nicht zusätzlich noch beispielsweise einen Waldtag schaffe.
Haben Sie eine Perspektive?
Ich war vor kurzem echt mutig und habe während einer Dienstbesprechung gesagt, dass ich mir von der Leiterin wünschen würde, dass sie häufiger mal „Nein“ zu den Eltern sagt. Die Reaktion war eindeutig. Sie möchte nicht schlecht bewertet werden, wenn es wieder eine Elternbefragung gibt.
Ich habe mir daraufhin überlegt, ob ich nicht noch einmal eine andere Ausbildung anfange. Ein Angebot zur Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau hatte ich kürzlich bereits. Im Moment allerdings macht mir die Arbeit mit den Kindern selbst einfach noch zu viel Spaß, deshalb denke ich auch über andere Wege nach. Im Kindergarten hat man einfach mit zu vielen Nebensächlichkeiten zu tun und jeden Tag ein Maß an Verantwortung, das kaum zu tragen ist.
Deshalb habe ich mich jetzt zu einem Studium im sozialen Bereich entschlossen. Die genaue Richtung ist noch nicht ganz klar, aber ich weiß, dass ich meine derzeitige Tätigkeit nicht auf Dauer machen kann, weil sie mich zugrunde richtet. Noch bin ich jung genug, um umzuschwenken.
Buchtipp:
Kinderbetreuung in der Krise: Wer erzieht hier wen? Das System der Kindergärten und Kindertagesstätten ist in eine Schieflage geraten: zu wenige Erzieher, zu große Gruppen, belastende Rahmenbedingungen für Kita-Personal und Eltern. Auch die Anspruchshaltung ist aus dem Ruder gelaufen: Statt einer Ergänzung der elterlichen Erziehung wird eine Rundumversorgung der Kinder erwartet. Gleichzeitig existiert ein verdrehtes Bild von Kindheit: Kinder sollen nicht mehr spielen, sondern werden zu Experten auf unterschiedlichsten Gebieten ausgebildet, während jede Intervention der Erzieher dem Verdacht unterliegt, das Kind in seiner Freiheit zu beschneiden.
Ein leidenschaftliches Plädoyer für ein Umdenken in der frühkindlichen Erziehung: Die Autoren zeigen neue Perspektiven auf: für ein entspanntes Familienleben, eine glückliche Kindheit und mehr Wertschätzung für den Beruf des Erziehers!
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