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„Du bist schuld!“ – Wie Eltern mit Vorwürfen ihrer erwachsenen Kinder umgehen können

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„Du bist schuld!“ – Wie Eltern mit Vorwürfen ihrer erwachsenen Kinder umgehen können

„Du warst nie für mich da!“ – Sätze wie diese treffen viele Mütter und Väter wie ein Schlag. Immer öfter erleben Eltern, dass ihre erwachsenen Kinder sie für persönliche Probleme verantwortlich machen – mit Begriffen wie „toxisch“, „narzisstisch“ oder „emotional missbräuchlich“. Was einst familiäre Nähe war, wird plötzlich zur Bühne für Vorwürfe und Sprachlosigkeit. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer spricht von einer „überhitzten“ Eltern-Kind-Beziehung – und warnt vor der Gefahr, dass wir uns in Schuldzuweisungen verlieren, statt echte Verbindung zu suchen.
Was Eltern tun können, wenn die Liebe plötzlich unter Verdacht steht.


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Wie Eltern mit Vorwürfen ihrer erwachsenen Kinder umgehen können


Böse Väter, kalte Mütter? Warum sich Kinder schlechte Eltern schaffen

Wolfgang Schmidbauers Buch Böse Väter, kalte Mütter? Warum sich Kinder schlechte Eltern schaffen (Reclam, 2024) analysiert die zunehmende Tendenz erwachsener Kinder, ihre Eltern für persönliche Lebensprobleme verantwortlich zu machen. Der renommierte Psychoanalytiker richtet sich dabei vor allem an Eltern, die unter solchen Vorwürfen leiden.

Zentrale Thesen

  • Opferrolle als Sackgasse: Schmidbauer kritisiert die verbreitete Haltung, Eltern als alleinige Ursache für eigenes Unglück zu sehen. Diese Opferrolle mag kurzfristig entlastend wirken, führt jedoch langfristig zu Stillstand und verhindert persönliche Entwicklung.
  • Psychologisierung des Alltags: Begriffe wie „toxisch“ oder „narzisstisch“ werden inflationär verwendet, was zu einer übermäßigen Psychologisierung familiärer Konflikte führt. Dies erschwert eine realistische Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Problemen.
  • Verlust traditioneller Strukturen: Der Wandel von gemeinschaftlichen Erziehungsformen hin zur Kleinfamilie hat dazu geführt, dass Eltern heute als alleinverantwortlich für das Wohlergehen ihrer Kinder gelten. Dies erhöht den Druck auf Eltern und erschwert gesunde Abgrenzungsprozesse.

Fallbeispiele und Analysen

Schmidbauer illustriert seine Thesen mit zahlreichen Fallbeispielen. So beschreibt er etwa eine Mutter-Tochter-Beziehung, in der die Tochter ihre Mutter entwertet, um sich von ihr abzugrenzen, dabei jedoch ihre eigenen Schuldgefühle verdrängt. Ein anderes Beispiel zeigt einen Sohn, der trotz finanzieller Unterstützung durch die Eltern Orientierungslosigkeit empfindet und in fragwürdige Therapien flüchtet.

Plädoyer für Ambivalenz und Gnade

Anstatt in Schuldzuweisungen zu verharren, plädiert Schmidbauer für eine realistische Sicht auf Eltern-Kind-Beziehungen. Er betont die Bedeutung von Ambivalenztoleranz und gegenseitigem Verständnis. Fehler sollten als Teil des menschlichen Miteinanders akzeptiert werden, um Versöhnung und persönliche Reifung zu ermöglichen.


Wenn Kinder ihren Eltern die Schuld für ihr Unglück geben

Im Interview mit annabelle äußert sich der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer zu seinem Buch Böse Väter, kalte Mütter? und beleuchtet die aktuellen Herausforderungen in Eltern-Kind-Beziehungen. Er kritisiert die zunehmende Tendenz, Eltern für persönliche Probleme verantwortlich zu machen, und plädiert für eine differenzierte Betrachtung familiärer Dynamiken.

Das Phänomen, wenn Kinder ihre Eltern für ihr Unglück verantwortlich machen „lässt sich sehr häufig in Mittelschichtsfamilien beobachten, in denen Eltern sich sehr viel Mühe geben, dass der Nachwuchs das elterliche Niveau hält oder übertrifft. Diese Kinder wurden intensiv betreut. Können sie jedoch als Erwachsene die Vorstellungen ihrer Eltern nicht erfüllen, kommt es manchmal zur Umdeutung – von Seiten der Kinder. Im Sinne von: «Meine Eltern haben mich nicht gut genug aufs Leben vorbereitet.»“

„Manche Erwachsene suchen einen Sündenbock für ihr eigenes Unvermögen“


Was, wenn Eltern tatsächlich Fehler gemacht haben?

Eltern machen immer Fehler, das steht völlig außer Frage. Eine Kindheit geht nicht ohne Schmerzen! Aber Eltern sollten ihre Elternrolle nicht überhöhen. Aktuell werden Kinder eher gebremst, wenn sie sich an Gleichaltrigen statt an den Eltern orientieren. Denn die Eltern haben Angst, die Kontrolle über ihr Kind zu verlieren.

„Wir müssen uns von der Idee lösen, man könnte Beziehungen zur bis Perfektion entwickeln“

Wolfgang Schmidbauer

Generell dauert die Eltern-Kind-Abhängigkeit heute viel zu lange – das fördert Konflikte. Denn je länger die wirtschaftliche Abhängigkeit des Kindes andauert, desto eher denken Eltern, das Kind müsse dankbar sein. Umgekehrt wachsen jedoch auch Fantasien beim Kind, dass die Eltern dankbar sein müssten, weil sich das Kind so lange quält, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen.

„Eine Kindheit geht nicht ohne Schmerzen“

Das Problem: Überhitzung des Eltern-Kind-Verhältnisses

Das Eltern-Kind-Verhältnis hat sich „überhitzt“ – so beschreibt Schmidbauer die aktuelle Situation. Gemeint ist damit:

  • Überzogene Erwartungen und Idealisierung:
    Eltern sollen heute nicht nur versorgen, sondern auch emotional perfekte Begleiter:innen sein. Gleichzeitig erwarten erwachsene Kinder zunehmend, dass ihre Eltern sie von psychischen Belastungen „freisprechen“.
  • Psychologisierung und Schuldzuweisung:
    Kinder interpretieren ihre Biografien immer häufiger in therapeutischen Begriffen (z. B. „toxisch“, „narzisstisch“) und machen die Eltern für eigenes Unglück verantwortlich. Das führt laut Schmidbauer zu einer Art „Moralpanik“ im Privaten.
  • Opferrolle statt Eigenverantwortung:
    Viele Menschen richten sich in einer Opferhaltung ein, statt sich mit der eigenen Mitverantwortung für ihr Leben auseinanderzusetzen. Dies behindert Reife und Selbstentwicklung.
  • Zerrüttete Kommunikation:
    Eltern fühlen sich beschuldigt und ohnmächtig, Kinder fühlen sich unverstanden – eine destruktive Spirale, die familiäre Beziehungen massiv belastet.

Zentrale Argumente und Thesen sind:

  1. Überhitzung des Eltern-Kind-Verhältnisses
    Schmidbauer beobachtet eine „Überhitzung“ in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Er warnt vor der Gefahr, dass Kinder ihre Eltern für eigene Lebensprobleme verantwortlich machen und sich dadurch in einer Opferrolle einrichten, die persönliches Wachstum hemmt.
  2. Inflationäre Verwendung psychologischer Begriffe
    Begriffe wie „toxisch“ oder „narzisstisch“ werden laut Schmidbauer inflationär verwendet, was zu einer übermäßigen Psychologisierung familiärer Konflikte führt. Dies erschwert eine realistische Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Problemen.
  3. Verlust traditioneller Strukturen
    Der Wandel von gemeinschaftlichen Erziehungsformen hin zur Kleinfamilie hat dazu geführt, dass Eltern heute als alleinverantwortlich für das Wohlergehen ihrer Kinder gelten. Dies erhöht den Druck auf Eltern und erschwert gesunde Abgrenzungsprozesse.
  4. Plädoyer für Ambivalenz und Gnade
    Anstatt in Schuldzuweisungen zu verharren, plädiert Schmidbauer für eine realistische Sicht auf Eltern-Kind-Beziehungen. Er betont die Bedeutung von Ambivalenztoleranz und gegenseitigem Verständnis. Fehler sollten als Teil des menschlichen Miteinanders akzeptiert werden, um Versöhnung und persönliche Reifung zu ermöglichen.

„Wo Menschen zusammenkommen, passieren nun mal Verletzungen.“


Empfehlungen: Das können Eltern tun

Freuen Sie sich über die Autonomie Ihres Kindes; akzeptieren Sie, dass es nicht zwangsläufig Ihre Erwartungen erfüllen wird. Und machen Sie sich klar, dass wir niemals mit letzter Sicherheit wissen, ob wir unserem Kind schaden, indem wir es beschützen – oder schaden, weil wir das gerade nicht tun. Im Beschützen rauben wir ihm die Möglichkeit, sich seine Stärke und Autonomie zu beweisen; im Freilassen die Sicherheit, die unser Schutz bietet.

Wolfgang Schmidbauer

Konkrete Empfehlungen für Eltern, die helfen können, in konflikthaften oder belasteten Eltern-Kind-Beziehungen gelassener und gesünder zu handeln:

#1 Ambivalenz zulassen – Perfektionismus ablegen

  • Akzeptiere, dass du als Elternteil nicht perfekt bist – und das auch nie warst oder sein musst.
  • Fehler gehören zur Beziehung: Jede Beziehung enthält Widersprüche, Enttäuschungen und auch Verletzungen. Das macht sie nicht „toxisch“, sondern menschlich.

„Wer nur ideale Eltern akzeptiert, wird keine realen lieben können.“

Wolfgang Schmidbauer

#2 Sich nicht in Rechtfertigungen verlieren

  • Reagiere nicht automatisch mit Verteidigung oder Rechtfertigung, wenn dein Kind Vorwürfe äußert.
  • Höre zu, aber prüfe innerlich, ob du dich wirklich gemeint fühlst – oder ob das Kind vielleicht eigene Themen projiziert.

#3 Psychologisches Vokabular nicht übernehmen

  • Wenn dein Kind dich z. B. als „narzisstisch“ oder „emotional missbrauchend“ bezeichnet, heißt das nicht automatisch, dass es stimmt.
  • Vermeide es, in dieselbe Sprache zu verfallen. Bleibe bei deinen Gefühlen und deiner Geschichte – nicht bei Diagnosen.

#4 Grenzen setzen ist erlaubt

  • Eltern dürfen sagen: „Ich stehe dir zur Verfügung, aber nicht unter jedem Ton oder jeder Bedingung.“
  • Du darfst ablehnen, wenn dir Gespräche zu einseitig oder verletzend vorkommen – ohne Schuldgefühl.

#5 Unterscheide zwischen Reue und Schuldkult

  • Wenn du erkennst, dass du früher falsch gehandelt hast, darfst du das zugeben. Aber: Du bist nicht verpflichtet, dich endlos schuldig zu fühlen.
  • Reue öffnet die Tür zur Versöhnung – nicht zur Selbstaufgabe.

#6 Eigene seelische Autonomie stärken

  • Suche ggf. selbst psychologische Begleitung oder Coaching, wenn dich die Vorwürfe stark belasten.
  • Je klarer du in dir selbst bist, desto weniger wirst du dich durch Schuldzuschreibungen destabilisieren lassen.

#7 Liebe anbieten – nicht erzwingen

  • Auch wenn der Kontakt abbricht oder schwierig wird: Du kannst signalisieren, dass du offen bist für eine ehrliche, respektvolle Beziehung – aber nicht um jeden Preis.
  • Liebe heißt nicht Selbstaufgabe, sondern auch: sich selbst mit Würde behandeln.

Buchtipp: Böse Väter, kalte Mütter?: Warum sich Kinder schlechte Eltern schaffen

Böse Väter, kalte Mütter Buchcover

Immer mehr Menschen denken, nicht sie selbst, sondern ihre Eltern seien die Schmiede ihres Glücks. Kritik an schlechten Eltern ist etabliert, anklagende Kinder dürfen Kinder bleiben, Verständnis und Mitgefühl erwarten. Aber: Die Opferrolle erkauft kurzfristige Entlastungen teuer und führt nicht selten in eine Sackgasse.

Mit diesem Buch richtet sich der renommierte Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer an alle, die sich für Familien interessieren, vor allem aber an Eltern, die unter den Vorwürfen erwachsener Kinder leiden. Anhand von anschaulichen Beispielen zeigt er, was Betroffene tun können, wenn Schuldzuweisungen zirkulieren und Kontaktabbruch droht.


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Hier plaudert Birgit, alias Mutti, 40+, seit 2009 aus dem Nähkästchen: Authentizitäts-Freak, selbstbewusst grauhaarig, kreativ angehaucht, völlig unperfekte Mutter. Familienblog aus dem Leben mit zwei Jungs - Mutter allein unter Männern. Mehr über Muttis Nähkästchen: About. Nix verpassen? Folgt mir via Social Media oder Newsletter.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Hast du das Buch selbst gelesen? Ich stolper immer wieder darüber. Es löst ein schlechtes Gefühl in mir aus. Schon allein der Titel beinhaltet ein sehr starkes Framing und Bewertungen auf Amazon bestätigen leider mein Gefühl. Leider finden sich im Internet kaum tiefgehende Rezensionen, die mehr darstellen als die Infos des Verlages und ein klares Fazit enthalten. Allein auf psychologie-heute habe ich gelesen, dass das Buch ignorieren würde, dass es Kinder gibt, die wirklich unter Gewalt ihrer Eltern leiden und sich das nicht nur einbilden. Ich fürchte, dass Eltern das Buch lesen und Absolution für evtl. Fehler in der Erziehung bekommen. Da sehe ich aber keinen positiven Fortschritt für die Beziehung. Wenn beide Seiten Willens wären, ein offenes Gespräch zu führen, wäre Fortschritt und Entwicklung möglich. Wenn Kinder aber sich genötigt fühlen, den Kontakt zu ihren Eltern zu reduzieren oder sogar abzubrechen und Eltern nach dem Lesen dieses Buches zu der Einsicht kommen, dass ihr Kind sich das ja alles einbildet und sie gar keine Schuld tragen, werden sich die Fronten verhärten und die Beziehung leiden. Mir ist nicht so ganz klar, welchen Weg das Buch geht. Allerdings habe ich nach dem Lesen der Amazonbewertungen eine Ahnung. Sehr viele 5-Sterne-Bewertungen, die das Buch rühmen, da sie endlich wissen, dass ihr Kind unrecht hat und sie sich endlich beruhigt zurücklehnen dürfen.
    Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich irre, denn ich hätte Bedarf für ein Buch, dass die Kommunikation zwischen erwachsenen Kindern und Eltern fördert.

    1. Liebe Liz,
      danke für dein kritische Feedback. Natürlich gibt Kinder, die unter der Gewalt ihrer Eltern leiden und sich das „nicht nur“ einbilden. Ich selbst kenne eine Familie, in der ein Kind massive Vorwürfe gegen die Eltern macht. Aber selbst die Geschwister können das nicht nachvollziehen. Und die Eltern leiden enorm! Und für derartige Eltern ist dieses Buch Goldes wert! Denn auch die Eltern-Seite ist es wert, mit Empathie beleuchtet zu werden.
      LG Birgit

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