Viele Eltern kennen es: Die Frage nach guten Noten, nach den besten Plätzen im Klassenraum oder nach dem erfolgreichsten Abschluss spielt eine große Rolle – nicht nur im Gespräch mit Lehrkräften, sondern auch auf dem Pausenhof. Doch was passiert, wenn Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg in einem Wettbewerbssystem leben, in dem es permanent darum geht, besser zu sein als andere?
Eine neue Studie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zeigt: Dauerhafter Konkurrenzdruck kann die Persönlichkeit von Jugendlichen nachhaltig verändern – und zwar nicht unbedingt zum Guten.
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Inhaltsverzeichnis

Wettbewerb im Klassenzimmer – mehr als nur ein Ansporn
Aus der Arbeitswelt kennen wir Anreizsysteme: Wer die meisten Verkäufe macht, bekommt eine Prämie. Übertragen auf die Schule bedeutet das: Wer zu den Besten gehört, erhält besondere Chancen, wie zum Beispiel einen garantierten Studienplatz. Genau dieses Szenario hat ein Forschungsteam um Professor Fabian Kosse an Schulen in Chile untersucht.
Im Rahmen des Programms „PACE“ wurden die besten 15 Prozent der Schüler:innen an bestimmten Schulen belohnt: Sie mussten keine zentrale Aufnahmeprüfung für die Universität mehr absolvieren. Für viele Kinder aus benachteiligten Familien war das eine einmalige Chance – entsprechend hoch war der Druck, unter die Besten zu kommen.
Wenn Hilfsbereitschaft und Vertrauen leiden
Die Ergebnisse sind alarmierend: Jugendliche, die zwei Jahre lang diesem Wettbewerb ausgesetzt waren, zeigten deutlich weniger Hilfsbereitschaft und Vertrauen gegenüber ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Und diese Effekte verschwanden nicht einfach wieder, sobald das Programm beendet war – selbst vier Jahre später waren die Folgen noch messbar.
Das bedeutet: Konkurrenz verändert nicht nur kurzfristig das Verhalten, sondern wirkt tief in die Persönlichkeitsentwicklung hinein. Kinder, die lange im Wettbewerb stehen, laufen Gefahr, dauerhaft weniger sozial zu werden.
Ein echtes Experiment – und darum besonders aussagekräftig
Die Studie untersuchte mehr als 5.000 Schülerinnen und Schüler an 64 PACE-Schulen und 64 Kontrollschulen, die nicht am Programm teilnahmen. Durch die zufällige Auswahl der Schulen entstand ein „echtes“ Experiment – vergleichbar mit medizinischen Studien.
Neben offiziellen Bildungsdaten führten die Forschenden auch eigene Befragungen durch. Dabei ging es unter anderem um Fragen wie:
- „Wie groß ist der Wettbewerb in deiner Klasse?“
- „Wie sehr bist du bereit, anderen zu helfen, ohne etwas zurückzuerwarten?“
Das Ergebnis war eindeutig: Starker Wettbewerb führt zu weniger Altruismus, weniger Vertrauen, weniger sozialem Miteinander.
Was heißt das für Eltern?
Die Studie macht deutlich: Leistung und Konkurrenz sind nicht per se schlecht, aber wenn sie dauerhaft und intensiv erlebt werden, können sie die sozialen Fähigkeiten von Kindern schwächen. Für Eltern heißt das:
- Auf die Balance achten: Fördern Sie Ihr Kind, aber achten Sie darauf, dass Wettbewerb nicht zum Lebensinhalt wird.
- Kooperation stärken: Unterstützen Sie Aktivitäten, bei denen Zusammenarbeit im Mittelpunkt steht – ob im Sportverein, in der Musikgruppe oder bei Projekten in der Schule.
- Über Gefühle sprechen: Ermutigen Sie Ihr Kind, über Druck, Stress oder das Gefühl von Konkurrenz zu sprechen.
Und was können Schulen tun?
Auch die Forschenden schlagen konkrete Änderungen vor, um die negativen Folgen von Konkurrenz abzumildern:
- Wettbewerbsregeln anpassen:
Statt nur innerhalb einer Schule zu vergleichen, könnte man eine Rangliste für eine größere Region schaffen. Dadurch sinkt der direkte Druck innerhalb der Klassengemeinschaft. - Kooperation betonen:
Wenn Schulen gemeinsam antreten – zum Beispiel „unsere Schule gegen andere“ –, entsteht ein Wir-Gefühl. Das kann die Zusammenarbeit sogar fördern.
Fazit
Die Würzburger Studie zeigt eindrucksvoll: Wettbewerb ist kein harmloser Motor für bessere Leistungen, sondern kann die Persönlichkeit von Jugendlichen langfristig verändern. Vertrauen und Hilfsbereitschaft sinken nachhaltig, wenn Jugendliche in der Schule einem hohen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind. Eltern wie Schulen sind deshalb gefragt, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Leistung und Miteinander zu finden.
Denn am Ende zählt nicht nur, was Kinder auf dem Papier leisten – sondern auch, wie sie miteinander umgehen, wie sehr sie vertrauen, helfen und zusammenhalten. Und genau das sind Eigenschaften, die sie ein Leben lang tragen werden.
Quelle: https://idw-online.de
Praktische Tipps für Eltern im Alltag
Theorie ist das eine – aber wie können Eltern im Alltag konkret dafür sorgen, dass Konkurrenzdruck nicht zu stark auf ihre Kinder wirkt? Hier ein paar Anregungen:
1. Hausaufgaben ohne Wettkampf
- Vermeiden Sie Formulierungen wie „Deine Schwester war schneller fertig“ oder „Schau mal, XY hat eine bessere Note“.
- Besser: Loben Sie die Anstrengung und den Einsatz, nicht nur das Ergebnis. So bleibt der Fokus auf dem Lernen, nicht auf dem Gewinnen.
2. Notendruck abmildern
- Machen Sie deutlich, dass eine einzelne Note nicht über den Wert Ihres Kindes entscheidet.
- Besprechen Sie Fehler gemeinsam und überlegen Sie, wie man beim nächsten Mal etwas verbessern kann – ohne Schuldzuweisungen.
3. Geschwisterkonkurrenz entschärfen
- Vergleichen Sie Geschwister nicht untereinander. Jeder hat seine Stärken – machen Sie diese sichtbar.
- Fördern Sie gemeinsame Projekte: ein Puzzle, ein Kochabend oder eine Bastelaktion, bei der die Kinder zusammenarbeiten müssen.
4. Gemeinsame Erfolgserlebnisse schaffen
- Suchen Sie bewusst Aktivitäten, bei denen Kooperation im Vordergrund steht: ein Mannschaftssport, Theater, Musikgruppen oder auch Familienprojekte wie ein Gartenbeet.
- Feiern Sie Team-Erfolge: „Das haben wir gemeinsam geschafft!“
5. Über Gefühle reden
- Fragen Sie regelmäßig: „Wie fühlst du dich in der Schule? Hast du manchmal das Gefühl, dass alle gegeneinander arbeiten?“
- Signalisieren Sie: Leistung ist wichtig, aber dein Wohlbefinden und dein Charakter sind genauso wertvoll.
Schlussgedanke
Kinder brauchen Anreize, um ihr Potenzial zu entfalten – aber sie brauchen auch Räume, in denen Zusammenhalt wichtiger ist als Konkurrenz. Eltern können entscheidend dazu beitragen, dass ihre Kinder lernen:
👉 Erfolg ist schön, aber noch schöner ist es, ihn mit anderen zu teilen.
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